Wie sage ich es meinen Kindern?

Das ergreifende Zwiegespräch zwischen Vater und Sohn:
„Warum tut ihr der Erde weh?“

Gerald Weiß

„Warum habt ihr das nicht verhindert?“ fragte mich vor einigen Tagen mein kleiner Sohn beim zu Bett gehen. „Was verhindert?“ fragte ich verwundert zurück. „Ja, das mit dem Klima und den ganzen Stürmen und Überschwemmungen und Erdbeben“ entgegnete er. „Aber wie kommst du denn darauf, dass wir das hätten verhindern können?“ „Weil ihr der Erde wehtut und sie euch nicht mehr mag“ entgegnete er etwas trotzig. Ich setzte mich etwas verdutzt zu ihm auf die Bettkante. „Nun erklär mir mal, warum und wo wir der Erde wehtun“. „Weil ihr Löcher in sie reinbohrt und ihr das Blut wegnehmt“. „Was für ein Blut?“ entfuhr es mir entgeistert. „Na, das Öl“ erwiderte er. Ich wollte gerade ansetzen, um zu erklären, wie vor Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen unser Öl entstanden ist, als mir einfiel, dass ich vor einigen Wochen einen Artikel über ein Indianervolk in Kolumbien gelesen hatte. Ja genau, die U’wa waren es. Ein kleines Volk, dass sich seit Jahren dagegen wehrt, dass große Ölkonzerne auf ihrem Territorium nach Öl bohren. Und die U’wa nennen das Öl auch das „Blut“ der Erde. Aber wie kam mein kleiner Sohn auf diesen seltsamen Vergleich? Ich war sicher, dass er niemals etwas von den U’wa gehört hatte. „Wie kommst du darauf, dass das Öl das Blut der Erde ist?“ fragte ich. „Die Erde ist wie Paulchen“. Paulchen war ein kleiner Igel, der seit einigen Wochen in unserem Garten herumlief. Nun musste ich doch lachen. „Die Erde hat doch keine Beine oder Stacheln“. „Brauch keine Beine, kann doch fliegen“. „Und wo sind die Stacheln der Erde?“. „Die Bäume! Die Bäume sind das Fell der Erde und das Öl ist wie Blut. Und das stinkt, weil es von innen kommt“. Ich war erstaunt über so viel Fantasie und langsam begann mir dieses Frage- und Antwortspiel Spaß zu machen. Deshalb bohrte ich weiter: „Kannst Du mir denn sagen, was Vulkane sind?“ „Pickel“ kam es sofort zurück und mein Sohn grinste dabei. „Wie der Pickel, den du gestern auf deiner Nase hattest. Und wenn du ihn ausdrückst macht es pitsch und der ganze Modder kommt raus.“ Die Idee war gar nicht so dumm. Mir fielen bei diesem Gedanken die unglaublichen Schlammmassen auf Java ein, die seit einem Jahr ununterbrochen aus einem Erdkrater sickerten.

Die anfängliche Belustigung über die fantasievollen Gedanken meines Sohnes schwand und ich wurde nachdenklich. „Warum habt ihr das nicht verhindert?“ fragte auch ich als Kind meine Eltern. In der Schule sprachen wir damals über den großen Weltkonflikt, der fast alle Völker der Erde in einen Taumel der gegenseitigen Vernichtung versetzte. „Wir konnten nichts dafür. Es gab böse Menschen, die dafür verantwortlich waren“ klang mir noch die Antwort meiner Eltern in den Ohren. Jetzt kamen mir Zweifel. Bilder, die ich vor einigen Tagen in den Nachrichten gesehen hatte, tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Bilder von aufgebrachten Menschen, Fahnen schwenkend, mit hoch gestreckten Fäusten. Menschen, die lieber heute als morgen gegen andere Menschen losmarschieren wollten. „Oh nein!“ entfuhr es mir. Mit einem Schlag schien alles so klar zu sein. WIR sind verantwortlich! JEDER EINZELNE ist mitverantwortlich für das, was passiert. Lange bevor tatsächlich etwas geschieht, haben wir in Gedanken bereits angeklagt, verurteilt und die Klinge geführt.

„Warum tut ihr der Erde weh?“ Die Worte meines Sohnes holten mich zurück aus meinen Gedanken. Ich wollte schon ansetzen zu einer langen Erklärung über Arbeit, Wirtschaft und Wohlstand, aber irgendwie brachte ich es nicht übers Herz. Nach einer Weile hörte ich mich sagen: „Weißt du, ich glaube, die Menschen wissen nicht, dass sie der Erde wehtun“. Ein trauriger Kinderblick traf mich. „Papa, ich möchte nicht groß werden.“ „Warum möchtest du nicht groß werden?“ „Die Erwachsenen vergessen immer alles, und dann kann ich der Erde nicht mehr helfen.“

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